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Zwischen Wahnsinn und Erwartung - wie viel anders ist normal?

Dialoglastig

“Dein Leben lebt vom Sprechen,” sagt er und sieht mir dabei in die Augen. Es ist ein Blick, der mir sehr tief in die Seele geht und ich möchte ihm ausweichen, aber tue es nicht. Nein, ich weiche seinem Blick nicht aus. Warum sollte ich?

Ich mag, wie er darin nach etwas sucht, das seine Worte bestätigt oder sie verneint. Ich mag, wie ich den Blick ungescholten erwidern kann, während er denken mag, ich läge wie ein offenes Buch vor ihm. Ich mag auch die Unsicherheit die mich überkommt, während ich meine eigenen Gedanken anzweifele und nicht weiß, ob ich erahnen kann, was währenddessen in ihm vorgeht.

Ich mag, wie er sich verliert, seine Pupillen größer und kleiner werden wenn er nicht mehr sicher ist, ob er sich links oder rechts an mir festhalten kann und, genau wie ich meine, seine Mitte nicht findet, aus dem Gleichgewicht gefallen.

Ob er auch so viel und rasend schnell denkt? Springen die Worte in seinem Kopf auch in dieses und das letzte Jahr, erinnert er sich daran, wann er mir das erste Mal so tief in die Seele blickte?

Ich muss unwillkürlich lächeln und er erschrickt, wendet den Blick ab. “Oder nicht?” fragt er. Ich schüttle sanft den Kopf. “Ja,” sage ich. “Was siehst du, wenn du mich ansiehst?” frage ich leise. Wieder greift sein Blick nach meinem, wir suchen Halt in dem Moment. Seine Pupillen tanzen, das Gefühl der Verbundenheit bricht nicht ab. Als gäbe es die absurde Realität da draußen gar nicht, als gäbe es keine Einsamkeit, als würden wir in jeder Sekunde unseres Lebens nur so ineinandersehend da sitzen.

“Dich,” vermutet er laut. Ich lache. “Sonst nichts?” frage ich leicht, meine Stimme tanzt zu der Musik unserer Verbindung, es gibt nichts Wichtigeres als das Jetzt.

“Was sonst,” fragt er und ich weiß es nicht, aber möchte mehr. Wovon denn mehr, frage ich aber antworte mir nicht, viel zu zart ist das Gemeinsamgefühl.

Ich weiß, er ist unsicher, ich fühle, er verliert sich in dem Meer möglicher Antworten, möchte mich beruhigen, die Fragen in meinen Augen beantworten, nach Ewigkeit und Liebe und angenommen sein, Fragen, die nur meine Augen stellen aber nicht mein Herz, weil all die Antworten nur Worte wären, nicht getragen über den Moment hinaus.

“Ja, was sonst?” frage ich und halte dabei sein Gesicht in meiner Hand. Es ist keine Spannung da, es knistert nicht, es ist selbstverständlich zwischen uns und zerbrechlich, eine kleine Portion Zeit, ein zusammengeklaubter Rest, den wir einander schenken, absichtlich.

Es ist nicht mehr und nicht weniger als das Jetzt. Ich möchte es ihm sagen aber weiß nicht, ob er das verstehen kann: Schafft er das? Kann er über diesen fragilen Augenblick hinwegsehen ohne Angst davor, ihn zu verlieren oder zu zerbrechen?

“Ich bin froh über das hier,” sagt er, ohne den Blick abzuwenden. Mein Lächeln ist unwillkürlich und echt und reicht für Jahre, denke ich. Es reicht für Jahre, mich daran zu erinnern, dass es das hier gab, diesen Moment ernst gemeinter Verbundenheit.

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Thema von Anders Norén