“Über sowas mache ich mir gar keine Gedanken”, sagt sie schulterzuckend. Ich sehe sie kurz an und versuche vergeblich meine Kränkung zu verbergen. Schnell blickt sie mich mitfühlend an und sagt irgendwas Nettes. Ich schüttle mich und versuche ehrlich, irgendeinen blöden Witz zu finden, mich kurz lächerlich zu machen oder einfach unauffällig das Thema zu wechseln, aber dann platzt es doch aus mir heraus. “Über sowas,” sage ich, “Wie kannst du dir denn über sowas keine Gedanken machen?” Ein vorsichtiges Augenverdrehen kann sie sich nicht verkneifen. “Naja keine Ahnung ich mach es halt einfach nicht. Gibt Wichtigeres!”
Wichtigeres! Natürlich gibt es Wichtigeres. Alles ist wichtiger als alles, denke ich, für irgendwen ist irgendwas immer wichtiger. Ach, die paar sterbenden Kinder, dafür leben an anderen Orten ganz Viele! Eine Frage der persönlichen Prioritäten eben. Natürlich denke ich zu viel! Jede Sinneswahrnehmung stößt direkt mindestens drei Gedankenströme an, die sich sofort mit den übrigen fünf parallellaufenden zusammenschließen und zu einem riesigen Knäuel aus undurchwirrbaren “Vielleichts”, “Bestimmts” und “Sichers” werden, sich mit Erinnerungen vermischen und gegen Wände aus Fakten stoßen, dann wieder auseinanderfallen und zerstäuben als hätten sie nie irgendeine Relevanz gehabt, meine Synapsen tanzen Tango und andere Tanzarten die ich live gesehen nicht einmal zuordnen könnte. Wir können nichts wissen! Wir können nur forschen! Graben, denken, Perspektiven hin und herwenden, grübeln, erfahren, uns selbst jeden Tag neu erfinden! So, so viele, unheimlich viele Menschen, die jeden Tag irgendwas machen, denken, fühlen, erleben, schaffen, zerstören, eine Welt mit so viel zu Erfahrendem dass ich Zeit meines Lebens nicht alles gesehen haben kann, selbst wenn ich es versuche, was ich ja kaum mache, weil ich schon so völlig erschöpft bin von alledem was direkt vor meiner Nase ist, weil alles so vielseitig und niemals eindimensional ist, weil jeder alles anders sehen kann – und sie denkt einfach nicht über sowas nach!
“Du denkst zu viel,” setzt sie noch einen oben drauf und ich bin drauf und dran ihr all meine Geistesblitze mitzuteilen, suche noch nach Worten wie ich Faust, Tango, Kindersterben und Wollknäule prägnant in einem Satz zusammenfassen kann, da fügt sie hinzu: “Du bist grün. Setz einfach den Grünen. Es ist mir ehrlich egal ob grün für mich die gleiche Farbe ist wie für dich. Wir nennen das hier,” sie deutet auf die grüne Mensch-ärgere-dich-nicht Figur, “einfach grün und du bist grün. Du hast grün ausgesucht.”