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Zwischen Wahnsinn und Erwartung - wie viel anders ist normal?

“Mach doch mal ‘ne Therapie!” Oder lass es sein.

Geoutet. Ich bin einer von den Hobbypsychologen, die an jeder Ecke lauern. Ich sehe oft Menschen, die typische Merkmale für eine Depression zeigen und oft habe ich das Bedürfnis danach, ihnen professionelle Hilfe vorzuschlagen.

Ich denke, dass es für jeden Menschen wertvoll sein kann, sich sein Leben mal aus einer anderen Perspektive anzusehen. So manches Mal versperren einem die eigenen Gefühle und Erfahrungen die Sicht auf eine einfache Lösung oder den eigentlichen Grund der Unzufriedenheit, ein anderes Mal sitzt der Grund für die Zornesfalten im Gesicht oder die Schlaflosigkeit so tief, dass man ohne eine richtige Analyse von selbst nie drauf kommen würde, dass dieses Gefühl noch nicht “schon immer” da war!

Ich habe auch schon Menschen erlebt, die ihre Unzufriedenheit selbst gar nicht richtig benennen können: Sie tragen sie mit sich herum und haben Kopf- oder Rückenschmerzen, halbgare Sätze im Kopf, die nie zum Aussprechen fertig gemacht werden und wenn doch, dann weiß man nicht so recht, wem man die eigentlich sagen soll.

Auf einer Party will man die Stimmung nicht versauen, die Freunde haben genug eigene Probleme und für den Hausarzt ist es irgendwie nicht wichtig genug.

Da denke ich dann “Ach, ein Therapeut könnte dir helfen”, helfen, dich selbst besser zu verstehen oder dir einfach zuhören, er könnte dir Worte geben für die Dinge, die dich so beschäftigen.

Aber ich spreche das nur in den seltensten Fällen aus. Und das liegt nicht daran, dass ich nicht abgelehnt werden möchte oder das Psychotherapie ein Tabuthema ist, denn um mich herum schwebt dieses Thema so penetrant, dass ich manchmal denke die Leute warten nur darauf, dass ich wieder davon anfange.

Viel mehr deshalb, weil ich weiß, was so eine Therapie mit sich bringen kann.

Manch einer hinterfragt sein ganzes Leben, bringt das Grundgerüst zum Wackeln und fällt erst Mal ein ganzes Stück tiefer, bevor er mit gestrecktem Rücken weiterlaufen kann.

Ich denke jeder Mensch hat ein Fundament. Die sichere Basis Kindheit, in der er seine Vorstellung vom Leben aufgebaut hat, ordentliches Benehmen, das berühmte “das macht man nicht” oder das “weil man das eben so macht”.

Ein Fundament dass dir beibringt, wie dein Leben im besten Fall laufen soll, welche Träume und Wünsche du erreichen kannst und vor Allem auch wie. Eins, dass dir Sicherheit gibt, im besten Fall einen Rückzugsort.

Manchmal hat das Fundament Löcher. Als ob du einen Jengaturm baust, aber einige Steine sehr weit unten einfach nicht da sind.

Ein cleverer Architekt, und da ist jeder sein eigener, findet dann Wege, den Rest des Gerüstes so stabil zu bauen, dass die Löcher im Fundament lang nicht auffallen.

Mit jedem Lebensjahr baust du oben ein paar Steine drauf und irgendwann beginnt der Turm vielleicht ein Bisschen zu wackeln: Aber so lang er steht und du oben weiter anbauen kannst, ist alles gut!

Das Gerüst ist also eine Art Kompensation. In der Psychologie nennt man das dann “Schutzmechanismen” und “angelernte Verhaltensweisen”, die auch wirklich ihren Sinn erfüllen können. Ein harmloses Beispiel ist “Nie ohne Frühstück rausgehen”, ein weniger harmloses ist “bei großem Stress ein Bier trinken”.

Diese Schutzmechanismen kann der Körper auch alleine: Rückenschmerzen bei familiären Problemen. Nasenbluten nach einem Streit. Der Fachbegriff wäre dann “Psychosomatik”. Klingt immer ein Bisschen nach “eingebildet”, ist aber Quatsch, der Schmerz hat eine körperliche Ursache: Das Gehirn verursacht sie, und das Gehirn veranlasst schließlich jeden Schmerz.

Eine Therapie könnte dir jetzt helfen, diese Verhaltensweisen abzubauen und durch welche zu ersetzen, die wohltuender sind. Statt dem Bier oder Rückenschmerzen könntest du lernen, einen Tee zu trinken um wieder zur Ruhe zu kommen. Das ist angenehmer.

Aber wer aufgepasst hat sieht den Kniff: Um neue Gerüste zu bauen, muss das alte, stabilisierende Gerüst abgebaut werden. Das ist eine wacklige Angelegenheit und kann auch schief gehen.

Deshalb denke ich, man sollte mit diesem Rat nicht so vorschnell sein. Es kann immer wertvoll sein, mit einem Psychologen zu sprechen. Und ob du, wenn du zur Therapie gehst, dein Gerüst abbauen und durch ein neues ersetzen willst, entscheidest du am Ende sowieso selbst.

Ohne dich kann der Therapeut gar nichts tun: Noch nicht mal in dich reinsehen, denn die Instrumente des Psychologen sind nicht Fernrohr und Skalpell sondern Worte und Strukturen! Es ist also nicht “gefährlich” es mal auszuprobieren.

Aber herumdoktoren und Wunden aufreißen um dann zu sagen “Geh mal zum Psychologen, guck, bei dir ist auch was kaputt”, dass würde ich lieber nicht machen. Vielleicht hält dein Gerüst ja gut. Auch wenn es ein Bisschen wackelt!

Manchmal sollte man der Sache lieber ein Bisschen Zeit geben, einen Schritt zurück gehen und den Turm festhalten, statt nochmal gegenzustubsen. Man muss ja nicht permanent Steine obendrauf legen.

Mit Liebe

Kaddi

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